Physiologischer Hintergrund


 

Eine wesentliche Bedeutung in unseren Bemühungen spielt das im Hypothalamus produzierte Nonapeptid OCYTOCIN, das für die Regulation komplexer sozialer Verhaltensweisen wie Bindung und elterliche Fürsorge verantwortlich ist. Oxytocinerge Neuronen projizieren in Gehirnareale, welche unter anderem für die Bereiche Angststeuerung, Belohnung, soziale Interaktion, Gemütslage und für den Tonus im autonomen Nervensystem mitverantwortlich sind.

 

Abb. 9: Oxytocin-Wirkungen.
Abb. 9: Oxytocin-Wirkungen.

 

A: Oxytoxin in der postnatalen Periode (Abb. 9).

Ein Kind, das seiner Mutter gleich nach der Geburt auf die Haut gelegt wird, «übt» ein «brustsuchendes» Verhalten und «massiert» die Brust der Mutter zugleich mit seiner Annäherung. Diese Massage ist mit einem Anstieg des Oxytocinspiegels der Mutter verknüpft (Matthiesen 2001).

 

Infolge der Oxytocin-Ausschüttung (die auch in Gang kommt, wenn die Mutter ihr kleines Kind sieht, hört und riecht) steigt die Brusttemperatur, und die Mutter beginnt mit dem Kind zu interagieren und zu kommunizieren (Widström et al. 1987; Matthiesen et al. 2001; Bystrova et al. 2007).

 

Die Mutter soll ihr Kind in den ersten 24–48 Stunden wiederholt skin-to-skin bei sich haben (nicht nur die ersten zwei Stunden). In regelmässigen Abständen sucht sich so das NG einen Weg zur Mamille, stimuliert das erektive Gewebe und damit die Oxytocin-Produktion von Kind und Mutter. Dank dieser Stimulationen wird der Milchfluss verbessert und erleichtert, der sogenannte Milcheinschuss ist mit weniger Schmerzen verbunden. In Hautkontakt beruhigt sich das kleine Kind eher und schreit weniger. Diese «mentale» Gelassenheit geht mit einer körperlichen/muskulären Entspannung und einer höheren Hauttemperatur einher.

 

Wichtig für das Neugeborene ist der Surfactant Release und für die Mutter die Stimulation der Uterus-Kontraktion. Zudem kommt es bei beiden durch eine Vagustonisierung zu vermehrter Aktivität des Verdauungssystems (mit Gastrin und Cholezystokinin-Ausschüttung) und des Speicherstoffwechsels (Somatostatin, Insulin). Ein Neugeborenes in Kleidern produziert weniger Oxytocin.

 

 

B: Oxytocin-Ausschüttung über die Aktivierung der Sinneszellen der Haut.

Durch die Spinalanasthesie werden die afferenten Fasern im Niveau blockiert. Die Sinneszellen der Haut am Oberkörper werden durch Wärme, leichten Druck und Streichelbewegungen aktiviert. Das innige Zusammensein hilft Mutter und Kind wiederholte Ruhephasen zu durchleben. Selbst Nahrungsaufnahme, Geruchswahrnehmung, aber auch Musik und Licht stimulieren unser Nonapeptid Oxytocin. Alle verhaltensbezogenen und physiologischen Wirkungen mit Ausnahme des Milcheinschusses und der Prolaktin-Sekretion können auch durch den Hautkontakt zwischen Mutter und Kind im Verlauf einer Stillepisode zustande kommen. (Uvnäs Moberg 1998; Heinrichs et al. 2002; Jonas et al. 2007; Handlin et al. 2009, Uvnäs-Moberg & Peterson 2010).

 

 

C: Durch den Hautkontakt vermittelte wechselseitige Vorgänge bei Mutter und Kind – eine primitive Form des Spiegelns.

Wissenschaftliche Untersuchungen weisen darauf hin, dass Mutter und Kind durch Aktivierung der Spiegelneuronen im sensorischen und motorischen Kontext unbewusst den Gesichtsausdruck und die lautlichen Äusserungen der jeweils anderen Person imitieren. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass man die durch den Hautkontakt zustande kommende Anpassung der Hauttemperatur des Kindes an diejenige seiner Mutter als eine primitive Form des Spiegelns betrachten könnte. Auch die bilaterale Aktivierung der Oxytocin-Ausschüttung und die induzierten Wirkmuster beim Hautkontakt lassen sich als eine elementare Form des Spiegelns ansehen.

Wenn Oxytocin in Reaktion auf einen gleich nach der Geburt bestehenden Hautkontakt abgegeben wird, werden auch klassische Formen des Spiegelns begünstigt. Zum Beispiel imitieren Mutter und Kind in dieser Situation die Vokalisierungen der jeweils andern Person – also ihre «Anliegen» häufiger (Lepage & Theoret 2007; Velandia et al. 2010).

 

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